Roland Meyer verbindet seit dem 1. Juli 2024 als Brückenprofessor für Digitale Kulturen und Künste die Lehre und Forschung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und der Universität Zürich (UZH). Im schriftlichen Interview mit Martina Egli gibt der Bild- und Medienwissenschaftler Einblick, was ihn in den kommenden Jahren beschäftigen wird.
M. Egli: Herzlich willkommen, Roland! Du besetzt die erste Brückenprofessor zwischen UZH und ZHdK. Was versprichst du dir von dieser besonderen Position?
R. Meyer: Da ich selbst an einer Kunsthochschule, der HfG Karlsruhe, studiert und sowohl im universitären als auch im Kunsthochschulkontext gelehrt und geforscht habe, reizt es mich besonders, diese beiden Welten in einen Dialog zu bringen. Mit dem Zentrum Künste und Kulturtheorie (ZKK), das seit diesem Mai als gemeinsames Zentrum beider Hochschulen neu aufgestellt ist, gibt es dafür einen idealen institutionellen Rahmen, an dessen weiteren Aufbau ich in den kommenden Jahren mitarbeiten werde – worauf ich mich sehr freue. Gemeinsam mit Kolleg:innen aus beiden Institutionen und aus ganz unterschiedlichen Disziplinen wollen wir hier die zentralen Themen der Gegenwart – Klimakrise, Kulturkriege und reale Kriege sowie, was mich primär beschäftigen wird, die Rolle der Künste angesichts der sogenannten «Künstlichen Intelligenz» – in den Blick nehmen. Dabei ist es unser Ziel, wissenschaftliche, theoretische, künstlerische wie praktische Perspektiven zu verbinden – denn all diese Themen sind zu gross für einen engen disziplinären Zugang und verlangen die Kollaboration von Forschenden mit ganz unterschiedlichen Methoden und Formen der Expertise.
M. Egli: Inwiefern beziehst du dich in deiner Arbeit auf künstlerische Arbeiten und Positionen? Wo und wie spielen diese in deiner Forschung eine Rolle?
R. Meyer: Die Auseinandersetzung mit künstlerischer Praxis war und ist für meine bild- und medienwissenschaftliche Forschung zentral. Künstlerische Positionen sind für mich dabei weniger ein Gegenstand der Interpretation, vielmehr ein selbstverständliches Gegenüber, an dem sich meine Sicht auf Phänomene insbesondere im Feld der vernetzten Bildkulturen schärft. Um nur ein Beispiel zu nennen: Für meine Forschung zur Bildgeschichte der Identifizierbarkeit waren die Arbeiten von Harun Farocki ein entscheidender Ausgangspunkt – der Titel meines Buches «Operative Porträts» ist im Grunde ein (halbes) Farocki-Zitat. Umso mehr freue ich mich, jetzt am Seminar für Filmwissenschaft der UZH mit dem Farocki Forum zusammenarbeiten zu dürfen. Im Herbst planen wir in Kooperation mit dem ZKK eine grosse Tagung, an der die UZH und die ZHdK beteiligt sein werden. Unter dem Titel «As we may see» wollen wir vom 30. Oktober bis zum 1. November, ausgehend von Farocki und gemeinsam mit internationalen Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und Filmemacher:innen, nach dem gegenwärtigen Status technischer Bilder vor dem Hintergrund von digitalen Plattformen, ubiquitous computing und sogenannter «generativer KI» fragen. Generell ist die künstlerische Praxis, die mich primär interessiert, immer auch eingebunden in Prozesse der Forschung, der Theoriebildung und der Kritik. Sie macht übersehene oder verdrängte Phänomene sichtbar, sie verknüpft zuvor unverbundene kulturelle Sphären und sie produziert Bilder, Konzepte und Modelle, um anders über gegenwärtige Fragen nachzudenken, als dies in den Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen möglich wäre.
M. Egli: Zahlreiche Beispiele zeigen, dass generative KI Diskriminierung und Stereotypisierung reproduziert. Worin siehst du unsere Rolle und unsere Verantwortung als Kunsthochschule?
R. Meyer: Das ist ein Thema, das mich gerade in meiner Lehre sehr beschäftigen wird. Generative KI scheint faszinierende Möglichkeiten zu eröffnen, ist aber nicht ohne Grund sehr umstritten. Bildgeneratoren wie Dall-E, Midjourney oder Stable Diffusion etwa reproduzieren nachweisbar nicht allein rassistische und sexistische Klischees, sondern verstärken und verfestigen diese häufig auch. Dazu kommen weitere drängende Fragen, etwa des Urheberrechts, der Monopolisierung kreativer Ressourcen durch grosse Tech-Firmen, der drohenden Prekarisierung gestalterischer Arbeit und des enormen Energie- und Rohstoffverbrauchs der KI. Wie vor diesem Hintergrund ein verantwortungsvoller, reflektierter und nachhaltiger Umgang mit diesen Technologien möglich ist, diese Frage möchte ich bereits im Herbstsemester im Seminar mit den Studierenden diskutieren – kritisch, offen und ohne dem gegenwärtigen KI-Hype zu verfallen.
M. Egli: Die digitale Gegenwart ist eine rasante. Laufend kommen neue Tools und Trends auf. Spiegelt sich das hohe Tempo der technologischen Entwicklungen in deiner Methodik?
R. Meyer: Das Tempo der Entwicklung bedeutet für einen kritisch-reflexiven Zugang eine enorme Herausforderung. Die üblichen wissenschaftlichen Forschungs- und Publikationsrhythmen sind dafür oft zu langsam. Daher habe ich in den letzten rund zwei Jahren versucht, aktuelle Phänomene auch in kürzeren und schnelleren Formaten wie etwa Social Media Posts zu kommentieren. Zugleich kann die Langsamkeit des wissenschaftlichen Forschens und Publizierens aber auch eine Chance sein. Es gilt dann, jene ganz grundlegenden Fragen und Probleme zu identifizieren, die über die kurzfristige Aktualität hinaus von Relevanz sind, und sie in grössere historische und theoretische Zusammenhänge zu stellen. Idealerweise ergänzen sich beide Zugänge: So kann man zunächst online Thesen erproben und zur Diskussion stellen, um sich dann mit ein wenig Abstand zu fragen, was von dauerhafter Relevanz bleiben könnte.
M. Egli: Du wirst regelmässig Lehre anbieten, wer alles kann deine Lehrveranstaltungen besuchen? Wo werden sie stattfinden?
R. Meyer: An der ZHdK werden meine Seminare im Rahmen des neuen Minors «Critical Thinking» angeboten – und sind darüber hianus für Studierende aller Studienrichtungen als geöffnete Lehrveranstaltungen zugänglich. Ebenso sollen sie für möglichst viele Studierende der UZH crossgelistet werden, etwa aus der Filmwissenschaft, der Kunstgeschichte, der Kulturanalyse oder den Populären Kulturen. Ich werde es also mit Seminargruppen zu tun haben, in denen im Idealfall ganz unterschiedliche Kompetenzen und Zugänge aufeinandertreffen und in einen für alle produktiven Austausch treten können. Darauf freue ich mich sehr. Im kommenden Herbstsemester werde ich zunächst an der ZHdK lehren, im Frühjahrssemester 2025 voraussichtlich am Seminar für Filmwissenschaft – und ich hoffe sehr, dass die Studierenden der ZHdK dann auch den Weg nach Oerlikon auf sich nehmen.
M. Egli: Woran arbeitest du aktuell?
R. Meyer: Das Thema KI wird auf jeden Fall einen wichtigen Fokus meiner Arbeit darstellen – wir planen dazu am ZKK eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel «Art with/against AI», die am 18. November mit einem Vortrag von Hito Steyerl an der ZHdK eröffnet wird – neben Farocki eine weitere Künstlerin, Filmemacherin und Autorin, die für meine eigene Arbeit enorm prägend war und ist. Ich selbst arbeite an einer kleineren Publikation, die danach fragt, inwiefern die Ästhetik der neuen synthetischen Bildwelten ein Produkt von Social Media und der gegenwärtigen Plattformökonomie ist – und was das für unsere visuelle Kultur bedeutet. Daneben arbeite ich an drei weiteren, miteinander verbundenen Forschungsthemen, die ich in den kommenden Jahren in unterschiedlichen kollaborativen Zusammenhängen verfolgen werde. So interessiert mich die Frage, wie die massenhafte Verfügbarkeit digitaler Bilder der Vergangenheit unser Verhältnis zur Geschichte verändert und welche neuen Formen der Visualisierung von Archiv- und Museumssammlungen derzeit entstehen. Dann beschäftige ich mich schon länger mit Praktiken der Bildforensik, die darauf zielen, mit digitalen Mitteln die Authentizität technischer Bilder zu beweisen oder zu widerlegen – und insbesondere interessiert mich, wie sich dieser forensische Blick auf Bilder in künstlerischen Positionen, journalistischen Formaten und sozialmedialen Praktiken popularisiert hat. Schliesslich verfolge ich seit einigen Jahren ein Projekt zur Navigation in Bildräumen, in dem es darum geht, wie wir uns in medial erweiterten, informationsgesättigten Umwelten bewegen und orientieren – und welche Vorgeschichte die neuen Körper- und Wahrnehmungsverhältnisse der sogenannten «Mixed» oder «Augmented Realities» in der Kunst und im Design des 20. Jahrhunderts haben. Zu allen vier Themenbrerichen plane ich Veranstaltungen und Workshops, und sie werden auch in meiner Lehre eine zentrale Rolle spielen.
Zentrum Künste und Kulturtheorie
Mit dem Zentrum Künste und Kulturtheorie (ZKK) führen die Universität Zürich (UZH) und die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) seit 2024 ein gemeinsames Zentrum. Beteiligt sind die Philosophische Fakultät (UZH) und das Departement Kulturanalysen und Vermittlung (ZHdK).
DIZH Brückenprofessur
Die Brückenprofessur für Digitale Kulturen und Künste ist im Rahmen der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) geschaffen worden.
Dieser Beitrag erschien am 8.7.24 auf zhdk.ch.