Mit KI hergestellte Körperbilder auf anatomische Korrektheit prüfen – den Energieverbrauch der Einwohnerinnen und Einwohner Zürichs senken – die Auswirkungen von Virtual Reality auf das Verhalten einschätzen – Zürcherinnen und Zürchern ermöglichen, ressourcenschonender und sinnvoller zu konsumieren: Studierende und Forschende der UZH aus ganz unterschiedlichen Disziplinen haben im letzten Jahr am Innovators Camp des UZH Innovation Office und während eines Pilotprojekts für einen neuen Studiengang Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen gesucht.
Es ist wichtig, dass jedes Teammitglied seine eigene Skills kennt und proaktiv danach strebt, diese am richtigen Ort einzusetzen. Die Aufgaben entsprechend den individuellen Stärken zu verteilen, ist das Fundament effizienter Teamarbeit.
«In der Wirtschaft ist die Zusammenarbeit in transdisziplinären Teams schon länger von Bedeutung», sagt Titus Neupert, Co-Direktor der UZH Digital Society Initiative (DSI) und Professor für Theoretische Physik, «und auch in der Grundlagenforschung werden die Ergebnisse immer mehr im Team erarbeitet.» Doch im Vorlesungsverzeichnis sei das Angebot für transdisziplinäre Arbeiten derzeit «recht schlank», wie Neupert es ausdrückt. Hier will der neue Minor-Studiengang «Digital Skills», den Masterstudierende aller Fakultäten ab Herbst 2024 belegen können, Abhilfe schaffen. Mit Challenge Based Innovation können Studierende dort Erfahrungen sammeln, wie man in transdisziplinären Teams in kurzer Zeit neue Ideen entwickeln kann. Und sie können sich Fähigkeiten aneignen, die ihnen später im Berufsleben helfen, Lösungen für komplexe Probleme zu finden.
Was ist das Problem?
Titus Neupert hat das Programm zusammen mit Ursula Brack von der DSI entwickelt. In einem Pilotmodul im vergangenen Herbstsemester konnte die Methode, Studierende aus unterschiedlichsten Fächern an konkreten Fragestellungen selbstorganisiert arbeiten zu lassen, getestet werden. «Normalerweise erhält man in einer Lehrveranstaltung ein Problem vorgelegt, den Lösungsweg und oft auch die Lösung gleich noch mit», erklärt Till Baier, Masterstudent in Politischer Kommunikation & Governance, der am Pilot teilgenommen hat. «In diesem Modul mussten wir alles selbst erarbeiten: die Problemstellung definieren, den Weg und die Lösung finden.»
Bereits die genaue Formulierung des Problems, an dem man arbeiten will, ist die erste Herausforderung. Die in den Formaten vorgegebenen Challenges zielen auf grosse gesellschaftliche Fragen und sind recht umfassend formuliert. Sie auf konkrete, umsetzbare Lösungen herunterzubrechen, braucht Zeit und viele Diskussionen. «Die Idee zu definieren, war der schwierigste Teil», erinnert sich Marius Décaillet, Wirtschaftsstudent im Master. Er nahm vergangenes Jahr am Innovators Camp der UZH teil, das gemeinsam vom Innovation Hub der UZH und der Zürcher Hochschule der Künste ZhdK organisiert wird. Ausgehend von einem Entwicklungsplan der Stadt Zürich für die nächsten fünf Jahre sollten die Studierenden an zwei über fünf Wochen verteilten Wochenenden konkrete Lösungen für bestimmte Fragestellungen entwickeln.
Wir waren mit praxisnahen Herausforderungen und Fragestellungen konfrontiert. Das weckt das Interesse und fördert die Kreativität. Es ist eine extrem erfrischende Art zu studieren.
Marius Décaillet und sein Team nahmen sich des Themas Energie an, mit dem Ziel, den privaten Verbrauch in der Stadt Zürich zu senken. «Wir lernten eine Methode namens Crazy Eight, um Ideen zu entwickeln», erzählt Décaillet. Jedes Teammitglied musste innerhalb von acht Minuten acht Ideen dazu aufschreiben. In einem stufenweisen Prozess wurde daraus dann die beste Idee gekürt. «Wenn sie uns nur nach zwei Ideen gefragt hätten, wären nicht dieselben herausgekommen wie bei den acht», so der Student. «Die Methode zwang uns, so kreativ wie möglich zu sein.»
Nicht nur auf die eigenen Ideen zu vertrauen, sondern das ganze Team einzubeziehen, beschäftigte auch Innovators-Camp-Teilnehmerin Sierra Deutsch, Postdoktorandin und Gruppenleiterin am Geographischen Institut: «Als Akademikerinnen werden wir dazu erzogen, in erster Linie unsere eigenen Ideen voranzutreiben und für sie einzustehen», sagt Deutsch. Das Innovators Camp bot im Gegensatz dazu Gelegenheit, praxisnah auszuprobieren, wie Lösungen entstehen, wenn sich ein Team über die Ideen austauscht und sie so weiterentwickelt.
Tun, was man am besten kann
Im Innovators Camp arbeiten die Studierenden an konkreten Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. «Wichtig ist dabei der Weg und dass die Studierenden lernen, in interdisziplinären Teams gemeinsam Lösungen zu finden», erklärt Manuel Merki vom Innovation Office der UZH. «Sie müssen aber (noch) keine konkreten Produkte auf den Markt bringen. So sind sie frei, zu lernen, wie ihre Forschung in der Gesellschaft Nutzen stiften kann.» Dies soll sie befähigen, künftig universitäre Start-ups mit einem gesellschaftlichen Impact zu gründen.
Dass die drei bis sechs Studierenden aus verschiedenen Disziplinen als Team gut funktionieren, ist selbst eine der Herausforderungen der Challenged Based Innovation. «Wir kannten uns nicht und mussten innert kurzer Zeit einen Weg finden, wie wir effizient zusammenarbeiten», sagt Hatice Kübra Parmaksiz, die Volkswirtschaftslehre im Master studiert und am «Digital Skills»-Pilot mitmachte. Zu Beginn hätten sie viel parallel gearbeitet, das heisst, alle hätten das Gleiche gemacht. «Jemand hätte die Aufgaben verteilen müssen, aber es gab ja keine Hierarchie im Team. Das hat anfangs die Effizienz gemindert», so Parmaksiz. Im Lauf des Projekts hätten die Teammitglieder aber zunehmend Eigeninitiative gezeigt: «Alle haben selbständig die Aufgaben übernommen, die ihren Stärken entsprachen.» Geholfen habe auch, dass jede Woche jemandem die Verantwortung für den Lead zugeteilt wurde.
Wenn alle das gleiche Ziel im Blick haben, können wir in sehr kurzer Zeit gute Lösungen finden.
Unterschiedliche Arbeitsweisen und Methoden in verschiedenen Wissenschaftsbereichen stellen eine weitere Herausforderung dar. «Ich habe beispielsweise mit einer Wirtschaftswissenschaftlerin in unserem Team intensiv über die richtigen statistischen Verfahren diskutiert», erinnert sich Till Baier. «Beide argumentierten für ihr eigenes, bekanntes Verfahren und kritisierten die Schwächen der anderen unbekannten, weil fachfremden Methode.» Am Schluss blieb die Erkenntnis, dass keine der beiden Methoden zu ihrer Fragestellung passt und sie weitere Hilfe aus einem anderen Fach, der Psychologie, holen mussten. Die Herausforderung entpuppte sich als Chance – für Baier ein wichtiges Learning: «Ohne den intensiven Austausch wären wir nicht auf die Idee gekommen, von aussen Hilfe zu holen, sondern hätten einfach die bekannten Methoden unseres Fachs angewendet.»
Den Horizont erweitern
Auf solche Erkenntnisse zielt der Minor Digital Skills unter anderem ab: «Dass es unterschiedliche Methoden gibt, das ist für die Studierenden schon mal eine Horizonterweiterung», erklärt Neupert. Weil sich die Challenges in den Schnittfeldern verschiedener Disziplinen bewegen, etwa künstliche Intelligenz, Medizin und Ethik, ist die Auseinandersetzung damit auch anders gelagert, als wenn man sich in einem Fachbereich in eine Fragestellung vertieft. «Wir bewegen uns an einer Grenzfläche verschiedener Felder, die wissenschaftlich noch nicht so tief durchdrungen ist», erklärt Neupert. «Das ermöglich es, etwas interessantes Neues beizutragen, einfach durch Kombination von Methoden oder Blickwinkeln, die man sonst nicht zusammenbringen würde.»
Für Neupert ist das Pilotprojekt geglückt: «Es sind Ergebnisse herausgekommen, die methodisch in die Tiefe gehen, obwohl nicht viel Zeit war, sich damit zu beschäftigen.» Insbesondere die Auseinandersetzung über die Disziplinengrenzen hinaus schätzt Neupert als wertvoll ein: «Das ist eine Erfahrung, die auch wichtig ist, um später mit den Arbeitsrealitäten klarzukommen.» Auch dort sei es nötig, dass zum Beispiel Juristen und Informatikerinnen sich gegenseitig verstehen. Formate wie die Challenged Based Innovation sieht er deshalb als wegweisend für die Zukunft der universitären Lehre an: «Das Differenzierungsmerkmal wird sein, wie wir Menschen befähigen, miteinander zu arbeiten, um so zu neuen Lösungen zu kommen.»
Dieser Artikel ist Teil des UZH Magazins 1/24 zum Thema Gendermedizin.
Text: Theo von Däniken, Bilder: Diana Ulrich